Der Trick besteht darin, es so aussehen zu lassen, als hätte der Innovator es von Ihnen abgekupfert. Ein gutes Beispiel für dieses Prinzip ist die Arbeit von Judy Rifka zu Beginn der 70er Jahre. Ihre Single Shapes auf Sperrholz gehören zu den wichtigsten Gemälden des Jahrzehnts... - Rene Ricard
Kuratiert von Gregory de la Haba
Wann wird Kunst zu einem rentablen Gut? Wer entscheidet das?
Es dauerte fast achtzig Jahre, bis sich die Welt nach dem Tod von Johann Sebastian Bach im Jahr 1750 auf sein wahres Genie besann. Herman Melvilles literarisches Meisterwerk Moby Dick war zu seinen Lebzeiten ein kommerzieller Flop. Und es war ein französischer Kunstkritiker im 19. Jahrhundert, der die Welt darauf aufmerksam machte, dass der holländische Künstler Jan Vermeer aus dem 17. Jahrhundert ein Meister war, dem höchste Anerkennung und Bewunderung gebührte.
Das Leben ist turbulent und kompliziert, kennt Anomalien, Seltsamkeiten und Dinge, die sich jeder Norm und Erwartung entziehen. Nehmen Sie zum Beispiel die über 50-jährige Karriere der amerikanischen Künstlerin Judy Rifka, die Anfang der 1970er Jahre die New Yorker Kunstwelt mit ihren revolutionären „Single Shapes on Plywood“ im Sturm eroberte. "Jeder Maler, der sie damals sah, erkannte ihren Einfluss", sagte der angesehene Kunstkritiker Rene Ricard in seinem viel zitierten Artforum-Essay von 1981, The Radiant Child.
Umgehend begannen bedeutende Sammler*innen wie die Vogels und Jean-Paul Najar die Werke von Judy Rifka zu kaufen. Künstler und Kritiker lobten Rifkas Arbeiten gleichermaßen. Im April 1974 schrieb der Kunstkritiker Jeremy Gilbert-Rolfe in Artforum, dass Judy Rifkas Single Shapes "die Ausstellung dominierten" und dass ihre – Judy Rifkas - die erschütternd originellste Formulierung der Identität der Malerei ist, die ihm seit einiger Zeit begegnet ist. 1975 wählten die Kuratoren des Whitney Museums ihre "Single Shapes" für die Biennale aus und der amerikanische Konzeptkünstler Mel Bochner zeigte Rifkas bedeutenden Werke in einer Ausstellung im Artists Space, NYC. Und während Rene Ricard in The Radiant Child die bildnerischen Tugenden von Basquiat, Haring und ihrer Kollegin aus der Downtown-Kunstszene, Judy Rifka, pries, stellte er die Frage: "Ist Innovation wichtig?" Seine Antwort war aufschlussreich:
"Der Trick besteht darin, es so aussehen zu lassen, als hätte der eigentliche Innovator es von Dir abgeschaut. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Arbeiten von Judy Rifka zu Beginn der 70er Jahre. Ihre Single Shapes auf Sperrholz gehören zu den wichtigsten Gemälden des Jahrzehnts."
Ricard beklagte schon damals die Tatsache, dass Rifka nicht die ihr gebührende Anerkennung erhielt, und schrieb weiter:
"Man könnte sie als Malerin der Maler bezeichnen, wenn es das ist, was Maler tun, Ideen an andere weiterzugeben. Ich denke, es muss ein tiefgreifender Schmerz sein, zuzusehen, wie andere die Anerkennung für die eigene Erfindung bekommen. Ihre Forschungen zur Konstruktivistischen Theorie waren bahnbrechend, aber einem Pionier ist kein Gebiet zu entlegen."
Was ist ihre Kunst also wert? Rifka ging unermüdlich weiter. Wie die Zeit.
1983 untersuchte das deutsche Magazin Kunstforum die zeitgenössische Kunstszene in New York und kam zu dem Schluss, dass Judy Rifka die New Yorker Künstlerin schlechthin und die "freimütige Vertreterin der Post-Minimal-Ära" sei. Damals, als die Kunstwelt noch kleiner war, vor Kunstmessen und dem Internet, war Judy Rifka, so schien es, überall. Sie nahm an der ersten Ausstellung im Mudd Club (kuratiert von ihrem engen Freund Keith Haring) und an der Eröffnungsausstellung des PS1 in Long Island City, Queens, teil, hatte eine ganze Fläche auf der Whitney Biennale 1983 für ihre großen Wallpaper-Gemälde, rockte die Documenta 7 in Kassel dank des deutschen Ausnahmekurators Klaus Honnef, war in der berüchtigten Times Square Show vertreten, arbeitete mit dem Kunstkollektiv Colab zusammen, entwarf mehrere Design- Cover für das legendäre Art-Rite Magazin. Sie hatte ihre Kunst auf dem Cover von Art In America und ist in 26 Museen und Institutionen auf der ganzen Welt vertreten. Von Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre verkaufte sie Hunderte von Werken über ihren Haupthändler Brooke Alexander in New York City. Aber man würde nichts davon glauben, wenn man Rifkas Auktionsergebnisse heute betrachtete, die nicht nur trostlos, sondern praktisch nicht existent sind. Sind Auktionspreise das A und O für den Wert eines Künstlers? Ist unser endgültiges Urteil über einen Künstler nur durch einen Zuschlagspreis in Stein gemeißelt?
Was ist ihre Kunst also wert?
Haben sich all die einflussreichen Kritiker*innen, renommierten Schriftsteller*innen, berühmten Künstler und bedeutenden Sammler*innen, die Rifkas Werk bewunderten, kauften und schwärmerisch darüber schrieben, getäuscht? Vielleicht haben Haring, Ricard, Honnef, Bochner, Gilbert-Rolfe - und die zahllosen Kurator*innen vom New Yorker Metropolitan Museum of Art über das Rheinische Landesmuseum in Bonn bis zur Kunsthalle Luzern – alle am Steuer geschlafen, als sie Rifkas Kunst für ihre Ausstellungen auswählten? Vielleicht war ihre Einschätzung über die Kunst von Judy Rifka schlichtweg falsch?
Oder doch nicht? Wir müssen genauer hinschauen (im Rückspiegel), denn die Echos ihrer großartigen Vergangenheit hallen weiter....
In einer Rezension der New York Times von 2007 zu High Times, Hard Times: New York Painting, 1967-1975, schrieb Roberta Smith über die "mutige, wenn auch unzulängliche Schau", dass "einige Beiträge fast lächerlich erscheinen angesichts einiger ziemlich offensichtlicher Abwesenheiten... von Judy Rifka... deren Bemühungen... zu den am meisten beobachteten Strömungen der frühen 70er Jahre gehörten."